Montag, 7. Dezember 2009

Walkampf

hallo ihrs,
so, wie angekuendigt habe auch ich vor, etwas zur gestrigen (bei euch vorgestrigen) wahl in bolivien zu schreiben. zunaechst einmal zur hintergrundsituation, ich versuche, das ganze halbwegs verstaendlich und trotzdem der situation gerecht zu halten, aber natuerlich ist das nicht ganz so einfach. ueber die programme der versch. parteien habe ich leider kaum etwas gefunden, adjedtive wie "mitte-links" und aehnlich detailliert muessen also ausreichen, der wahlkampf ist hier sehr auf die personen zugeschnitten...

zunaechst einmal zur person von evo morales, dem vmtl einzigen politiker den ihr aus bolien kennt: seit 2005 an der macht, damals ueberraschenderweise im ersten wahlgang mit der absoluten mehrheit gewaehlt. seitdem ist das land politisch gesehen recht stabil geworden, allerdings ist es ein bruechiger frieden. seit der unabhaengigkeit 1825 gab es knapp 200 putsche und umstuerze, also durchschnittlich immerhin mehr als einen pro jahr. eine demokratie ist das land erst seit 1982 und war vor allem von konservativen praesidenten mehr oder weniger erfolgreich regiert worden, davor abwechselnd von diktatoren, die entweder aus der armee kamen und von diktatoren, die die zustimmung der armee kauften, allesamt kamen sie aus der weissen, wirtschaftlichen wie intellektuellen oberschicht.
evo wurde 1959 in einem dorf bei orinoca im departement oruro geboren, einer sehr sehr armen hochlandsregion. von seinen 6 geschwistern ueberlebten nur 2, er war in seiner jugend lamahirte, baecker und maurer. spaeter zogen seine eltern nach chapare in cochabamba, in der hoffnung, als kokabauern ihre existenz besser sichern zu koennen. dort kam evo ueber die gewerkschaftsbewegung der damals von der regierung bekampften kokabauern in die politik (das ganze war eher ein tausch, us-amerikanische staatshilfen gegen das versprechen, den kampf gegen den kokaanbau zu verstaerken). 1997 zog er als abgeordneter der MAS (Movimiento als Socialismo) ins bolivianische parlament ein. bei den wahlen 2002 wurde seine partei ueberraschend zweitstaerkste kraft, die stichwahl verlor evo jedoch gegen Gonzalo Sánchez de Lozada, einen konservativen rechtspopulisten. dessen amtszeit war gepraegt von neoliveraler wirtschaftspolitik und zahlreichen massenprotesten, weswegen er abdankte und evo 2005 praesident wurde. wem das nicht genuegt, kann sich bei einem der folgenden artikel weiter informieren, die wahl wurde von zahlreichen deutschen zeitungen aufgegriffen: FAZ, deutsche welle, taz, Zeit und auch andere blogs berichten darueber: momente.blogsport.de, bernhardinbolivien.de, blogbolivia.wordpress.com.

in seiner ersten amtszeit setzte er die versprochenen reformen um, er fuehrte eine rente ein, eine art krankenversicherung, die alphabetisierungsrate stieg besonders in den laendlichen regionen aufgrund aufwendiger kampagnen exorbitant an und er verstaatlichte die natuerlichen ressourcen des landes, damit die erloese staerker der bevoelkerung zugute kommen. allerdings stiegen unter seiner amtszeit auch korruption und drogen (besonders kokain) - schmuggel stark an, ausserdem setzte er zahlreiche rechtsstaatsprinzipien ausser kraft, unter anderem die gewaltenteilung, hierbei ganz besonders die justiz (ein oberstes gericht gibt es in dem sinne kaum noch). zudem ist bspw. die gesetzgebung in laendlichen regionen teilweise aufgehoben und die indigenen richten auf ihre weise. das sieht haefig drastische strafen vor, fuer kleinste vergehen muss z.b. in einer reihe aus dorfbewohnern durchgegangen werden, welche alle mit stoecken o.ae. auf einen einschlagen, fuer schwerere verbrechen wird haeufig verbrannt. da vor allem viele strassen durch laendliche gebiete fuehren, auf denen es aufgrund nicht existenter sicherheitsstandards bei autos, betrunkener oder schlafender fahrer oder schlechten strassen auch zu unfaellen kommt, werden auch solche vorfaelle von der dorfjustiz uebernommen, wodurch auch andere als dort lebende personen betroffen sind.
dennoch erfreut sich morales steigender beliebtheit, wie die umfragen ermitteln. der putschversuch der opposition im jahr 2008, als sich die drei departements santa cruz, cochabamba und beni als unabhaengig erklaeren wollten, liess er durch kluge annaeherung an den dialogbereiten teil der opposition ins leere laufen. seitdem ist er quasi unangefochten praesident, die einzige frage die sich stellt ist, ob er es schafft die 2/3 mehrheit zu erlangen, dann kann ihm die opposition keine steine mehr in den weg legen.

ueber seine kontrahenten gibt es auf deutsch kaum brauchbare quellen, deswegen musste ich auf andere medien zurueckgreifen, leider wird hier alles sehr populistisch dargestellt, ich beschraenke mich deshalb auf informationen aus der spanischsprachigen wikipedia. zunaechst ist da manfred reyes villa, parteichef der PPB (PLAN PROGRESO PARA BOLIVIA), ein ehemaliger armeeoberst, von 1993 - 2000 Oberbuergermeister der Stadt Cochabamba und von 2006 - 2008 praefekt des gleichnamigen departements.
ueber seine kindheit kann ich wenig finden, er ging auf jeden fall auf die militaerschule welche er 1982 beendete, danach diente er in la paz. 1986 siedelte er aus familiaeren und wirtschaftlichen gruenden in die vereinigten staaten nach miami um, wo er in verschiedenen firmen diente (heute hat er aus dieser zeit noch einige klagen wegen korruption gegen sich laufen). nach seiner rueckkehr im jahr 1990 begann er seine politische karriere in der partei ADN (Acción Democrática Nacionalista) des ex-diktators hugo banzer. durch eine allianz mit der mitte-links partei MBL (Moviemiento Bolivia Libre) wurde er buergermeister der drittgroessten stadt des landes, cochabamba. kurz darauf verliess er die ADN, wurde aber mit seiner neuen partei NFR (Nueva Fuerza Republicana) mehrmals hintereinander Buergermeister von Cochabamba. im jahr 2000 gab er das amt ab, um an der praesidentschaftswahl 2002 teilnehmen zu koennen, hier kam er jedoch nicht in die stichwahl (zwischen evo morales und gonzalo sanchez de lozada). 2005 verzichtete er auf die aufstellung als praesidentschaftskandidat und wurde 2006 praefekt von cochabamba, von wo aus er starke oppositionspolitik machte. 2008 zerstritt er sich mit seinem koalitionspartner und wurde im zuge eines referendums, bei dem nur 35 % fuer ihn stimmten, abgesetzt. (es.wikipedia.org)
der dritte wichtige, aber wenig aussichtsreiche kandidat ist Samuel Doria Medina, der Besitzer von Burger King in Bolivien. 1958 geboren ging er in bolivien und den usa auf eine englischsprachige wirtschaftsschule und machte dort seinen master im finanzwesen. 1984 ging er in die politik, war mitglied bei der mittegerichteten partei MIR (Movimiente de Izquierda Revolucionaria). 1989 kam die partei in koalition mit der rechtsgerichteten partei ADN des ex-diktators Banzer an die Regierung, Medina wurde Wirtschaftsminister. 1993 verliess er das kabinett, wurde mitarbeiter der Weltbank und der interamerikanischen entwicklungsbank. 1997 war er kandidat fuer das amt des vizepraesidenten unter Jaime Paz Zamora, die partei loeste sich jedoch kurz danach (¿verstaendnisproblem?) auf. 2004 schliesslich gruendete er seine eigene partei, UN (Unidad Nacional) in die er viele seiner exparteigenossen lotsen konnte. bei den folgenden praesidentschaftswahlen im jahr 2005 kam er auf knapp 8 % der stimmen. (es.wikipedia.org)


so, nun endlich die (vorlaeufigen) ergebnisse, die MAS hat aller wahrscheinlichkeit nach ueber 2/3 der Sitze in beiden kammern des parlaments errungen!



(grafiken von blogs.taz.de)



die wahl an sich verlief sehr sehr ruhig. jedoch wurden vor und nach der wahl hohe sicherheitsmassnahmen ergriffen, 48h vor und nach der wahl darf kein alkohol verkauft werden und am wahlsonntag durften keine fahrzeuge unterwegs sein. was zu sehr absurden szenen fuehrte, sucre war komplett ruhig und auf den strassen spielten zahlreiche kinder fussball. auch sehr nett anzuschauen! jedoch mussten wir zu fuss laufen, als wir in die stadt wollten, wo dann allerdings doch nichts spannendes los war, es herrschte ja auch versammlungsverbot. im fernsehen konnten wir dann mitverfolgen, wie die ergebnisse ausgezaehlt wurden und wie die anhaenger der parteien damit umgingen. vom recht schnell gesprochenen kommentar in form eines interviews verstanden wir zwar nicht ganz so viel, jedoch gaehnte der interviewer gerne, blickte unglaublich gelangweilt und liess sogar sein handy zwischendurch klingeln.

so, ich hoffe irgendjemand liest sich das auch durch, wenn ihr fragen oder kritik habt immer her damit!
venceremos

7 Kommentare:

  1. hallo du, in der WZ tauchte das Wahlergebnis in einem Mini-Artikel auf mit dem Hinweis, dass das Land im letzten jahr vor einem Bürgerkrieg stand..-Marie hats sofort entdeckt! Klingt nach willkürlicher selbstjustiz, was du über das Rechtssystem schreibst... Freu mich auf mehr Infos!

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  2. Hey, von 'nem Artikel hab ich auch gehört, komme im Moment nicht mal mehr zum Zeitung lesen, werd ich bei Gelegenheit mal nachholen.
    Ansonsten, gant schön viele Informationen, wie ich es von dir gewohnt bin, Fakten, Fakten, Fakten! ;)
    Schön!
    Liebe Grüße!

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  3. Hey,
    danke für die ausführliche Berichterstattung, auch wenn ich von den Politikerbiographien wohl nichtmal die hälfte behalten werde.
    Außerdem ist deine Postkarte angekommen, die ich auch ohne größere Probleme entschlüsseln konnte (mal davon abgesehen dass du einen Fehler in deinem Code hattest ;) ) Vielen Dank dafür! Ich bin gespannt ob Annika die auch lesen kann,ich hab ihr die Lösung natürlich nicht gegeben ;)

    Stefan

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  4. Hey,
    dein Mailpostfach ist voll...
    "Benutzer hat das Speichervolumen ueberschritten. / User has exhausted allowed storage space."

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  5. meine mail von gerade kam auch zurück..

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  6. ehm... ja, ich fuehle mich unschuldig. ein gewisser student aus l. hat mir filme geschickt, die ich nicht oeffnen kann und die mein postfach blockieren!
    sollte aber wieder gehen ;)
    venceremos

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  7. Böse Studenten.
    Die besagte Karte liegt zwar vor mir, ich hatte jedoch noch keine ZEIT, mich mit der Entschlüsselung zu befassen! Aus eben diesem Grund werden wohl auch die bolivianischen Wahlergebnisse eher Lektüre fürs nächste Jahr, Dein Text ist ja sehr umfangreich.
    LG aus dem winterlich-kalten Tal!

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